Keine Genetik ohne Epigenetik

Der bayerische BKK Tag 2019 hatte Ende Februar ein vermeintlich exotisches Thema auf dem Programm. „Was Darwin noch nicht wusste – Wie Umwelt und Verhalten unsere Gesundheit prägen“, lautete der neugierig machende Titel mit einem sehr ansprechenden Programmmotiv. Hinter der schönen Überschrift verbarg sich ein Nachmittag rund um den vergleichsweise jungen Wissenschaftszweig der Epigenetik.

Für viele ist die Epigenetik noch ein Begriff mit sieben Siegeln, denn selbst Gesundheitsversierte können mit dem Begriff meist nur wenig anfangen. Dass das Thema eine gesundheitliche, wenn nicht gar eine gesellschaftliche Bedeutung in sich trägt, merkte ich in der Vorbereitung auf die Veranstaltung. Als Pressesprecherin gehört es zu meinem Job, die Themen des Landesverbandes mit Überzeugung an meine Zielgruppen zu bringen. Doch dieses Thema hatte mich persönlich im Vorfeld schon außerordentlich gepackt und so habe ich mich mehr als sonst üblich auf die Veranstaltung mit ihren Vorträge und Diskussionen zur Epigenetik gefreut.

Epi… - was?

Unsere Gesundheit ist nicht statisch. Was uns einmal in die Wiege gelegt wurde ist nicht Schicksal und per se veränderbar. Denn nicht nur unsere Gesundheit insgesamt, sondern auch unsere genetischen Informationen sind ein Entwicklungsprozess: Unser Erbgut bringt Anlagen mit, die den Grundstock unserer Gesundheit bilden. Jedoch sind Gene kein statisches Gut, sondern veränderbar. Mit dieser Erkenntnis öffnen sich neue Tore für ein anderes Gesundheitsverständnis. 

Das Thema einem gesundheitsversierten, aber von der Epigenetik vermutlich eher unwissenden Publikum näherzubringen, war Auftrag und Ansporn der drei Vorträge, die als Türöffner der anschließenden Diskussion um die Anwendungsmöglichkeiten, Entwicklungspotenziale und überhaupt der Auseinandersetzung mit der Epigenetik dienten.

Die Zwillingsforscherin

Einführend stellte Lisa Ann Gerdes, Ärztin und Neuroimmunologin am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität, ihre Erkenntnisse aus der Zwillingsforschung zur Entstehung von Multipler Sklerose (MS) vor. Ziel ihrer aufwändigen Zwillingsstudie ist es, neue Triggerfaktoren von komplexen chronischen Krankheiten aufzudecken. So wird bei der herkömmlichen Behandlung von MS darauf geguckt, Entzündungen und damit einhergehenden Krankheitsschüben Einhalt zu bieten.

MS ist ein schleichender Prozess. Doch in der Ursachenforschung mangelt es bei diesem komplexen Krankheitsbild. Über die Möglichkeiten der Epigentik sieht Gerdes Chancen, Anknüpfungspunkte für die Ursachen der Erkrankung zu finden. Über Darmbakterien lassen sich beispielsweise Umweltfaktoren identifizieren und lokalisieren, die die schleichende Entwicklung dieser Erkrankung vorantreiben. Dieses Wissen will Gerdes nutzen, um in der Therapie der fortschreitenden Entwicklung der MS Grenzen zu setzen.

Der Wissenschaftsjournalist

Mit der generellen Mär vom genetisch vorbestimmten Gesundheitspfad räumte der Hauptredner des BKK Tages, Peter Spork, Biologe und Wissenschaftsautor, auf: "Volkskrankheiten, Altersleiden und psychische Krankheiten sind in aller Regel keine Erbleiden. Wir alle können unsere Gesundheit selbst beeinflussen! Ein gesunder Lebensstil wirkt bis in die winzig kleinen Kerne unserer 30 Billionen Körperzellen. Er steuert unsere Gene.“ Gesundheit sieht Spork als einen Prozess, den wir selbst steuern. So eine der Hauptthesen des Bestsellerautors von "Gesundheit ist kein Zufall". 

Der Mann versteht es, hochkomplexe Zusammenhänge auf den Punkt zu bringen. Er fordert seine Zuhörer, aber die bleiben gerne am Ball, weil sie die Chance bekommen, schwierige Sachverhalte zu verstehen. Epigenetik, so Spork, zeigt den Menschen auf, was Gesundheit eigentlich ist. Und vermutlich screenten einige der Zuhörer ganz automatisch - und nebenbei zur inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Thema - ihre eigene Gesundheitsgeschichte und die ihrer Eltern und Großeltern und Urgroßeltern.

Der Krebsforscher


Christoph Plass, Leiter der Abteilung Epigenomik am Deutschen Krebsforschungszentrum weiß, dass bei Krebs unzählige epigenetische Veränderungen der Zellen feststellbar sind: "Epigenetische Veränderungen wirken wie Schalter, die Gene an- oder abschalten können. Information über diese Schalter kann für Therapien, sowie für die Vorhersage von Krankheitsverläufen, sehr hilfreich sein.“

Ein paar Schalter umlegen im Kampf gegen den Krebs, alles klar. Nein, so einfach ist es leider nicht. Erstaunt und hellwach werde ich in diesem wissenschaftlich anspruchsvollen Vortrag, als Plass die Anzahl der Schalter benennt: Es sind 28 Millionen an der Zahl - und zwar in einer jeden Zelle! Dass Krebs durch genetische Veränderungen beeinflussbar sei, wisse man zwar schon seit den 50er Jahren. Aber, dass sich die Zellen während der Reifung über die Schalter verändern, das steckt hinter der Epigenetik. Hochkomplex, super interessant und daher ein Jammer, dass ich Biologie nach der 10. Klasse nicht mehr weiter verfolgt habe und daher bei der ein oder anderen Folie passen musste.

Epigenetik geht uns alle an

Herausragend war nicht nur das große Interesse an der Veranstaltung, herausragend ist auch der Mut unserer Hausspitze, neuen und auf den ersten Blick exotischen Themen eine Bühne zu geben. Für unsere BKK Vorständin Sigrid König ist es immer wieder Ansporn, einem größeren Fachpublikum Denkanstöße zu geben. Mit der Veranstaltung zur Epigenetik ist ihr das einmal mehr gelungen. Zu Recht, denn letztlich geht doch die Auseinandersetzung mit der Epigenetik uns alle an.

Die Botschaft mit dem kryptischen, neugierig machenden Titel und ansprechendem Einladungsmotiv ist jedenfalls aufgegangen. Denn mit 180 Teilnehmern zählte der BKK Tag 2019 zu den herausragenden Veranstaltungen dieser Reihe. Politiker, Ärzte, Therapeuten aller Couleur, Kolleginnen und Kollegen aus dem BKK-System und darüber hinaus nahmen die Einladung des BKK Landesverbandes Bayern und die anregenden Diskussionen in der Hanns-Seidel-Stiftung dankbar an. Über den BKK Tag wurde die Epigenetik in Münchens Gesundheitsszene dialog-, wenn nicht gar hoffähig gemacht!

PS: Ein ausführlicher Bericht zum BKK Tag 2019 erscheint im April 2019 in der Zeitschrift BETRIEBSKRANKENKASSEN des BKK Dachverbandes.

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