TikTok ist schuld! – Teil 2

Von meinen Social Media Recherchen für den ersten Teil des Blog-Artikels zum Thema Geschlechtsidentität und sexuelle Orientierung in der Pubertät bin ich so von den Socken, dass ich direkt einen zweiten Teil folgen lassen muss. Die Sache mit der non-binären Identität ist eine Sache. Dass die Pubertät an sich zu einer noch viel größeren Herausforderung geworden ist seit der Dauerberieselung von Insta, TikTok und Facebook, eine andere Sache.

Soweit ich mich erinnere (düster und ungern) war die Pubertät schwierig genug. Und nun hat sich das Problem des sich Einfindens in der Welt durch die Flut der zweifelhaften Informationen, die das Internet zum Thema „Wie soll ich sein“ absondert, verzigfacht. Wenn man bedenkt, dass das Hirn eines Menschen erst mit ca. 21 Jahren tatsächlich ausgereift ist (rein biologisch gesehen) halte ich es für schlicht unmöglich, dass die Flut an Posts und Videos, die sich die Kids offenbar tagtäglich reinziehen, von ihnen reflektiert werden kann.

Einfach nur dämlich?

Sprich: Was ist wahr, was ist falsch, was ist einfach nur dämlich und woran könnte ich mich tatsächlich orientieren. Ich meine damit nicht die zahlreichen Schmink- und Frisiervideos, geschenkt. Ich meine damit Menschen, die professionell auf Instagram oder TikTok sind und stündlich über ihr Leben berichten, das nur im Spiegel der Virtualität Bedeutung gewinnt. Wissen die Kids, dass die meisten Fotos mit speziellen Filtern aufbereitet sind? Dass das meiste einfach nur Fake ist, schlicht erfunden und gestellt? Ein – zugegebenermaßen lustiger – Selbstversuch verwandelt mich auf einem normalen Schnappschuss in eine sehr attraktive 25jährige, wahlweise in eine 70jährige Oma. Das reale Leben verschwindet hinter der Bedeutung des Lebens online. Alles konzentriert sich auf das Äußerliche, auf den virtuellen Schein. Nimmt man das weg, hat keiner dieser Menschen im realen Leben auch nur die mindeste Relevanz. Und doch einen enormen Einfluss auf die Kids.

Will man allen Ernstes so aussehen wie Kim Kardashian? Ist den Kids klar, dass hier etliche extrem kostspielige, schmerzhafte und höchst zweifelhafte operative Eingriffe nötig sind, um das zu erreichen? Dass man sein Leben lang mit den Folgen von Schönheits-OPs zu kämpfen haben wird? Mit der Entwicklung des eigenen Körpers in der Pubertät haben die meisten zu kämpfen. Vieles ist nicht so, wie man es sich vorgestellt hat, und Social Media fördert Body Shaming in einem Maße, das kaum zu toppen ist. Schamlippenkorrektur. Analbleaching. Euer Ernst?

Aufklärung auf TikTok

Meine 19jährige Patentochter L. hatte mir nach der Lektüre meines letzten Blog-Artikels über die Wechseljahre erzählt, dass sie die Autorin des darin besprochenen Buches „Woman on Fire“ von TikTok kenne. Dort sei Dr. med. Sheila de Liz als @doktorsex bekannt und poste regelmäßig Videos zum Thema Pubertät und Sexualität für Heranwachsende, gemeinsam mit einem männlichen Kollegen. Ich schaue mir ein paar der Videos an. Welche Wohltat nach dem vielen Müll. De Liz klärt auf, so ähnlich wie Dr. Sommer weiland in der Jugendzeitschrift Bravo.

Bei weiteren Recherchen stoße ich auf die Neuerscheinung eines Buches der Autorin zum Thema: „Girl on Fire – Alles über die fabelhafte Pubertät“
Und was soll ich sagen? Schlicht: Lesen Sie es. Egal, ob Sie 50 oder 15 sind. Sie werden etwas lernen. Ich wünschte, ein solches Buch hätte es gegeben, als ich in der Pubertät war.
Außerdem glaube ich fest an die Überlegenheit des geschriebenen Wortes gegenüber einem Online-Video, was Nachhaltigkeit und Relevanz des Inhalts anbelangt. 

Frag Frida!

Das Buch hat de Liz nicht nur als Gynäkologin, sondern auch als Mutter einer pubertierenden Tochter geschrieben. Jedes Kapitel beginnt mit einem ausführlichen Teil für die Tochter, den sie alleine lesen kann. Dann folgt eine Session mit Fragen, die ihrer Tochter („Frag Frida!“) immer wieder von deren Freundinnen gestellt werden, im Stil von What’s-App-Unterhaltungen („Bro?“ „Ja Alter?“ „Hey, ich hab‘ da grad so’n Mental Breakdown“). Am Ende des Kapitels kommen die Knowledge Nuggets, das sind Tipps für Eltern. Die ersten fünf Kapitel beschäftigen sich vor allem mit den Basics wie Hormone, Menstruation, Körperhygiene etc. In den letzten drei Kapiteln geht es um Psyche, Sex und Verhütung. De Liz lässt nichts aus, weder Depressionen, noch Selbstverletzung, Vergewaltigung oder ungewollte Schwangerschaft. Wie sie selbst sagt: „Das ist kein Blümchenbuch. (…) Dafür habe ich zu viel gesehen. Es gibt viel, was man richtig machen kann, um sich unnötiges Leid zu ersparen.“ Und angesichts dessen, was die Kids täglich im Internet zu sehen bekommen, gibt es wahrscheinlich sowieso nichts mehr, was sie wirklich schockt. Abgesehen von der Realität vielleicht.

Falls Ihre pubertierende Tochter also auch ständig in den Social Media abhängt und Sie sich fragen, welchen Irrwitz über den weiblichen Körper sie sich gerade reinzieht, dann schenken Sie ihr das Buch. Und nehmen Sie es zum Anlass, mit ihr ins Gespräch zu kommen und vielleicht das eine oder andere gerade biegen zu können. Frohe aufgeklärte Weihnachten!

 

1 Kommentare

Kommentare zum Blogartikel

23.12.2022

Gabriele Gürler

Auch ich hätte dieses Buch in meiner Jugend gerne gehabt- immerhin kann ich jetzt in meinen Wechseljahren von "Woman on fire" profitieren!
Als Mutter sehe ich diese ungesunde Art über alles Glitzer zu streuen und jegliche vermeintliche Schwachstelle an Gesicht und Körper zurechtzufiltern mit großer Besorgnis. Was für ein Druck da entsteht diesem allgegenwärtigen Ideal entsprechen zu wollen...auch jetzt mit Mitte 50 fühle ich mich manchmal unzulänglich, wenn ich Stars in meinem Alter sehe, an denen offenbar kein Zahn genagt hat! Wie mag es dann unseren Heranwachsenden gehen, die sowieso im Clinch mit sich sind? Jede Bewegung erfuhr ja bisher immer eine Gegenbewegung- also hoffe ich bei den sozialen Netzwerken auf mehr Reality und weniger BlingBling- mental gesunde junge Menschen mit Werten und Zielen wären schön- so schön kann nämlich kein Hintern sein. Auch nicht der von Kim Kardashian!

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