Wir gendern ohne Stern*

Um die Weihnachtsfeiertage herum gab es in den Zeitungen wieder Mahnrufe vor Themen mit familiärer Explosionsgefahr. Natürlich stand 2021 Corona ganz weit oben, aber auch vor dem Thema Gendern wurde in den Medien gewarnt. Selbst im Berufsalltag ist die Thematik der geschlechtergerechten Sprache nicht konfliktfrei. Bei meinem Arbeitgeber, dem BKK Landesverband Bayern, sind wir mit der Einführung und Umsetzung seit knapp einem Jahr beschäftigt. Das Thema polarisiert - noch. Ein kurzer Text über den Sinn und Zweck einer fairen, geschlechtergerechten Sprache und Erfahrungen aus der Umsetzung im BKK Landesverband Bayern.

Wie alles begann

„Im Anfang war das Wort (…) alles ist durch das Wort geworden und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist.“ So heißt es schon im Johannes-Evangelium. Mit Sprache können wir uns verbinden, mit Sprache können wir aber auch spalten. Sprache ist das Elixier, das den Menschen menschlich macht. Sprache ist ein Spiegel unserer Gesellschaft und sie lebt von und mit ihr. Sprache verändert sich, weil sie lebendig ist, aber Sprache verändert auch unsere Gesellschaft. Denn „(…) unsere Sprache und unser Sprachgebrauch [fußt] historisch bedingt auf Denkmustern und Werteordnungen (…) die Männer privilegieren.“[i]

Der Verband ist überwiegend weiblich

Für den BKK Landesverband Bayern kann ich guten Gewissens behaupten, dass wir hinsichtlich der Verteilung von Führungspositionen aus dem klassischen männlichen Rollenmuster herausgewachsen sind: Auf der ersten Führungsebene, einschließlich Vorständin, ist die Verteilung männlich / weiblich paritätisch. Auf der zweiten Führungsebene haben wir sogar einen leichten Frauenüberhang und in Summe aller Mitarbeitenden kommt auf zwei Kolleginnen sogar nur ein Kollege. Eine faire, ausgewogene Sprache müsste also bei uns kein Problem sondern selbstverständlich sein. Doch verbal waren wir bis vor kurzem doch noch sehr maskulin geprägt.

Die Zeiten und der Duden ändern sich

Nahezu parallel zu unserer Genderoffensive beim BKK Landesverband Bayern gab der Duden, die Bibel der deutschen Rechtschreibung, Anfang 2021 eine geschlechtersensibel überarbeitete Online-Version heraus. Während sich einige freuten, dass fortan zum Beispiel bei Berufsbezeichnungen sowohl die männliche als auch die weibliche Form aufgeführt wird, war die Empörung bei anderen groß. Brauchen wir wirklich gleichrangige Erklärungen etwa für Pilot als „männliche Person, die [berufsmäßig] ein Flugzeug steuert“ und für die Pilotin als „weibliche Person, die [berufsmäßig] ein Flugzeug steuert“? Ja, in einer modernen, aufgeklärten Gesellschaft brauchen wir das. Denn wer sich damit begnügen mag, dass es sich bei der Pilotin nur um die weibliche Form des Piloten handelt, unterstützt ein schräges Gesellschaftsbild.

Es gibt zahlreiche Untersuchungen die zeigen, wie sehr das Wort unsere Gedanken prägt und damit auch die Bilder in unseren Köpfen, die sie erzeugen. So eine Studie von Dries Vervecken und Bettina Hannover von 2015 an der Freien Universität in Berlin. Die Forscherinnen stellten fest, dass Kinder typisch männliche Berufe als erreichbarer einschätzen, wenn Berufe in einer geschlechtergerechten Sprache dargestellt werden.

Ebenso ist es mit Hierarchien: Der Abteilungsleiter, der Stabsstellenleiter und natürlich der Vorstand erzeugt zuallererst eine männliche Person im Kopf. Das Klischee gewinnt.

Ein Stern*, der Deinen Namen trägt?

Auf meinen Arbeitsplatz übertragen stellte sich die Frage: Wenn bei uns so viele Frauen arbeiten und Frauen auch in allen Hierarchien gut und besser vertreten sind, warum hängen wir sie als Sternchen zu Fußnoten des generischen Maskulinums? Denn die Regel zum Beispiel bei internen Dokumenten, Verträgen und sonstigen formalisierten Schriftstücken bei uns war: Wir nehmen die männliche Form und erklären am Anfang des Textes einmal über einen Stern* hinführend zur Fußnote, dass damit selbstverständlich alle gemeint sind.

Die Bereitschaft zur Änderung war bei vielen Kolleginnen und Kollegen da, aber nicht durchweg. Zum Teil waren die Bedenken groß: Wenn immer die Beidnennung der Geschlechtergruppen verlangt würde, würden Texte unleserlich und die Vertragstexte in ihrem von Rechtssicherheit geprägten Stil ganz und gar unverständlich.

Dabei ist die Beidnennung ja nur eine Variante des geschlechtergerechten Formulierens. Elegante Alternativen bilden geschlechtsneutrale Bezeichnungen. Unsere Sprache bietet viele Möglichkeiten und auch Stereotypen können ruhig einmal aufgebrochen werden. So wird aus dem exemplarischen Abteilungsleiter ganz einfach die Abteilungsleitung. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter summieren sich zu den Mitarbeitenden oder schlicht zu: Wir alle. Der Rat des Arztes kann einfach zum ärztlichen Rat werden und passt für alle Geschlechter. Studentinnen und Studenten sprechen heute von sich selbst in einer Selbstverständlichkeit von Studierenden; diese Generation gendert zunehmend und ganz selbstverständlich.

Tschüss, Fräulein

Vor 51 Jahren, am 16. Februar 1971, wurde per Erlass des Innenministeriums im Amtsdeutsch das Fräulein abgeschafft und fortan auch unverheiratete, zumindest volljährige Frauen unverheirateten Männern in der Anrede gleichgestellt. Formell wurde dem Fräulein Tschüss gesagt, aber bis es aus dem Sprachgebrauch ganz verschwindet, ist es noch ein Stück Weg. Viele öffentliche Stellen und Unternehmen haben heutzutage Leitfäden, die einen geschlechtergerechten Sprachgebrauch unterstützen.

Auch beim BKK Landesverband Bayern gibt es seit 2021 einen Leitfaden zur geschlechtergerechten Sprache, der auf einer geschlechterneutralen und aktiven Ansprache baut. Anfangs hatten wir als Notvariante für Verkürzung bei Beidnennung noch den Genderstern*, aber der ist zwischenzeitlich wieder aus unserem Leitfaden verschwunden. Es gibt bei uns eine Seite zur gendergerechten Sprache im Intranet mit vielen Hilfestellungen: Der Leitfaden, ein Glossar mit gendergerechten Begriffen, die wir in unserer Branche häufig nutzen und Links zu zahlreichen tollen Hilfen im Web, wie geschicktgendern.de oder genderleicht.de.

Ja, es gibt viele Alternativen und sprachliche Entdeckungen, die unsere Denkmuster, unser Leben und damit auch unsere Gesellschaft bereichern. Tschüss, Fräulein und tschüss, generisches Maskulinum* - ich weine Euch keine Träne nach.

(Stand: 28. Januar 2022)

 

 


[i] Diewald, Gabriele und Steinhauer, Anja (2020): Handbuch geschlechtergerechte Sprache, Berlin, Dudenverlag, S. 15

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