Healing Architecture – wie die Umgebung den Genesungsprozess unterstützen kann

Früher, als ich an der LMU München gearbeitet habe, bin ich manchmal mit Kolleginnen und Kollegen in der Mittagspause in die Casinos der umliegenden Kliniken gegangen. Das Essen war ganz ok, aber die Atmosphäre und allein der typische Krankenhausgeruch hat mich doch oftmals abgeschreckt mitzugehen, andere waren da deutlich unempfindlicher.

Mein letzter Besuch als Patientin im Krankhaus liegt glücklicherweise schon etliche Jahre zurück und auch als Besucherin von Erkrankten aus dem Familien- und Freundeskreis war ich lange nicht mehr dort. Doch wer geht schon gerne ins Krankenhaus? Viele wurden in den 1970er und 1980er Jahren erbaut und versprühen den Charme eines Funktionsbaus, lange Gänge, fehlendes Tageslicht, Linoleumboden etc.

Ist das eine Umgebung, die zum Heilungsprozess beitragen kann? Wohl doch eher nicht, wie bereits 1984 in der Studie „View Through a Window May Influence Recovery from Surgery“ nachgewiesen wurde. Mehrere Patientinnen und Patienten wurden nach einer Gallenblasen-OP in zwei Gruppen eingeteilt, wobei die eine Gruppe von ihren Krankenzimmern heraus einen Blick in die Natur hatte und die Erkrankten aus der zweiten Gruppe auf eine Steinmauer blickten. Als Ergebnis kam heraus, dass die Teilnehmenden mit Naturausblick weniger Schmerzmittel benötigten, geringere Komplikationen nach der OP hatten und deren Krankenhausaufenthalt insgesamt im Vergleich kürzer war. Solche positiven Effekte wurden seither in weiteren Versuchen belegt.

Diese Studie gilt als Startpunkt des Konzepts der Healing Architecture, der heilenden / heilsamen Architektur. Gemeint ist eine architektonische und optische Gestaltung von Gebäuden und Räumen, die sich positiv auf den Heilungsprozess auswirkt und in einen ganzheitlichen Ansatz integriert ist. Zum Einsatz kommen hierbei beispielsweise großflächige Fensterfronten, natürliche Lüftung, farbliche Gestaltung zur besseren Orientierung oder Verwendung von Materialien wie Holz.

In den Niederlanden und Großbritannien wird das Konzept bereits seit längerer Zeit umgesetzt. Ein Beispiel sind die Maggie Centres, die von der Krebspatientin Maggie Keswick Jencks aufgrund persönlicher Erfahrungen initiiert wurden. Unmittelbar nachdem sie und ihr Mann die Nachricht erhielten, dass der Brustkrebs erneut bei ihr aufgetreten ist, wurde sie in einem fensterlosen tristen Raum alleingelassen. Daraufhin kam ihnen die Idee, integrierte Entspannungs- und Begegnungsräume für Menschen mit Krebserkrankungen in Krankenhäusern einzurichten, um sie bei der Krankheitsbewältigung besser zu unterstützen. Es soll eine freundliche und ruhige Stimmung mit viel Licht, Blick in die Natur und einer direkten Verbindung von innen und außen erzeugt werden. Seit den 1990er Jahren sind fast 30 solcher Zentren in Großbritannien, Hong Kong und Japan errichtet worden.

Auch in Deutschland gewinnt die heilende Architektur bei der Planung und Neugestaltung von Gesundheitseinrichtungen an Bedeutung. Die Charité Berlin startete 2013 ein Pilotprojekt zur Gestaltung von Intensivzimmern. Technische Geräte treten in den Hintergrund und deren Geräuschpegel wurde gedämpft. Außerdem wurde die Privatsphäre der Erkrankten und deren Angehörigen bei der Einrichtung berücksichtigt.

Erst vor Kurzem präsentierte das Helios Klinikum Krefeld ein neues Farb-, Material- und Lichtkonzept für Krankenhausräume. Nicht nur das Wohlbefinden der Patientinnen und Patienten soll gestärkt werden, sondern auch das des Krankenhauspersonals und deren Rückzugsräume wurden ebenfalls entsprechend eingerichtet. Laut Aussage des Helios Klinikums soll dies dazu geführt haben, dass der Krankenstand der Mitarbeitenden um 35 Prozent zurückgegangen ist.

Es wird bestimmt noch einige Zeit dauern, bis diese Ideen flächendeckend zum Einsatz kommen, aber das Bewusstsein scheint bei den Verantwortlichen angekommen zu sein. Auch bei den Patientinnen und Patienten steigen die Ansprüche an Bauweise und Inneneinrichtung. Laut der EY Krankenhausstudie 2022 „Was macht Krankenhäuser zu Gesundheitsbauten?“ werden Barrierefreiheit und gute Orientierungsmöglichkeiten vorausgesetzt und ein angenehmes Ambiente ist für 89 Prozent der Befragten wichtig.

Wenn ich zukünftig bei einer Erkrankung ins Krankenhaus muss, wird sicherlich weiterhin ein mulmiges Gefühl bleiben, aber ein Umfeld, das mehr auf Patientenbedürfnisse ausgerichtet ist und keinen zusätzlichen Stress verursacht, würde es mir bestimmt leichter machen, mich auf den Genesungsprozess zu konzentrieren.

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