Tricks mit dem Rechenschieber – wie Zahlen Meinung machen

„Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast“, lautet ein Sprichwort, das auf die Qualität von Zahlen und deren Interpretationsfähigkeit zielt. Zahlen, zumal wenn sie bis hin zur Kommastelle detailliert im Text, im Bild oder in der Rede eingesetzt werden, zeugen von absoluter Objektivität und Wahrhaftigkeit. Statistiken oder Zahlen müssen nicht gleich gefälscht sein, wenn sie Zufriedenheit auslösen, aber auch Verwirrung oder gar Unmut stiften. Es geht um simple Zahlenspielchen, die uns oft zu Fehlinterpretationen verleiten.

Ein Beispiel aus der Praxis der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV): „Die Finanzreserven der Kassen sind in den letzten Jahren auf über 20 Milliarden Euro gestiegen“, heißt es beispielsweise in der Presseinformation des BMG vom 16. Oktober 2020. Eine elfstellige Zahl, unermesslich für uns. Keine weitere Erklärung, keine Relation - ein großer Batzen Geld, ein Schwimmbad voll. Ja, man mag an Dagobert Duck denken und träumen: Wir schwimmen im Geld! Und tatsächlich wird das Bild vom Geld im Überfluss gerne auch genutzt, wenn es ans Eingemachte gehen soll. Schon 2012 ließ sich der damalige Gesundheitsminister Daniel Bahr mit dem Satz zitieren „Krankenkassen sind keine Sparkassen.“ Der Satz ist zum geflügelten Wort im Gesundheitswesen geworden und wird längst nicht nur auf ministerieller Ebene immer wieder eingebracht, sondern auch von Ärztefunktionären und anderen, bei denen die GKV-Überschüsse Begehrlichkeiten wecken, genutzt. Was bleibt von dieser Aussage, wenn die Überschüsse auf ein allgemein verständliches Maß heruntergebrochen werden?

Ein Zahlenspiel wird aufgelöst

Der Umgang mit Milliarden und deren Einordnung ist nicht trivial, aber möglich, wie folgendes Beispiel vom Statistischen Bundesamt (Destatis) zeigt: „Die Gesundheitsausgaben in Deutschland beliefen sich im Jahr 2018 auf 390,6 Milliarden Euro oder 4.712 Euro je Einwohnerin bzw. Einwohner“ heißt es in einer Pressemeldung des Bundesamtes. Wer würde diese Zahlen ernsthaft infrage stellen? Die Quelle ist seriös, die Zahlenexpertise von Destatis ist unangefochten. Kein Grund des Misstrauens und kein Anlass zur Sorge einer etwaigen Manipulation.*)

Doch, was diese Pressemeldung auszeichnet, ist nicht durch die Zahlen allein begründet, sondern durch eine simple, aber erhellende Relation. Die 390,6 Milliarden Euro werden nicht allein einfach in den Lesesaal geworfen, sondern in Beziehung zu uns gesetzt. Indem die Pressekolleginnen und Kollegen von Destatis die Zahl auf eine einzelne Person herunterbrechen, wird die Vorstellung allen klar. Denn mit der Summe von 4.712 Euro im Jahr und pro Person kann die Leserin und kann auch der Leser etwas anfangen.

Die Kassen schwimmen im Geld?

Zurück zur GKV als vermeintliche Sparkasse und große Geldbadewanne. Um die 20 Milliarden Euro einzuordnen wäre auch hier eine Relation für die Lesenden hilfreich. Denn heruntergebrochen auf die gut 72 Millionen gesetzlich Versicherten werden die 20 Milliarden Euro zur überschaubaren Summe von rund 278 Euro je Versicherungsnehmenden. Das Bad im Geld sieht gleich etwas trockener aus, es fehlt an Tiefgang.

Zumal, wenn man zu den Rücklagen auch die monatlichen GKV-Ausgaben in Beziehung setzt, die die GKV als Solidargemeinschaft stetig leistet, quasi der Abfluss, um im Bild der Badewanne zu bleiben: Rund 300 Euro je Monat und Mensch gibt die GKV im Durchschnitt für die medizinische und therapeutische Versorgung ihrer Versicherten aus. Dabei umfasst die Solidargemeinschaft GKV eine breite Spanne: Von der Pumperlgesunden mit keinerlei Ausgaben zum Schwersterkrankten mit bis zu sechsstelligen Ausgabenbeträgen im Monat sind alle Krankheits- und Lebenslagen vertreten.

Zum Schluss noch etwas Wichtiges, was vielfach bei der Bewertung der GKV-Finanzen auch aus dem Blick gerät: Durchschnittswerte sind Durchschnittswerte und nur selten gleichverteilt. Es gibt etliche Krankenkassen, die über weit weniger Rücklagen als den statischen Durchschnitt mit 278 Euro verfügen und einige andere, die ein Vielfaches an Rücklagen verzeichnen. Wie sie dazu gekommen sind, ist eine andere Geschichte. Einen Einblick liefert unser Pressearchiv.

 

*) Die Ausgaben, die Destatis für Gesundheit zusammengestellt hat, schließen neben den Ausgaben im Rahmen GKV auch alle weiteren Ausgaben der privaten Gesundheitsversorgung mit ein.

 

Stand: 3. Dezember 2020

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